Matthias Gödde

Aufgewachsen in einer Kleinstadt, gelegen zwischen dem östlichen Ruhrgebiet und dem Münsterland, habe ich im Alter von 8 Jahren auf einem Jahrmarkt mein gesamtes Taschengeld an einer Glückslosbude geopfert. Das war zumindest die Meinung meines Vaters, die er mit einer Ohrfeige manifestierte. Herausgegangen bin ich mit dem Gewinnlos für eine Kamera, die in der Folge gelegentlich, zur Freude meines Vaters, auf Familienfeiern zum Einsatz kam. Achtung, auf jedem entnommenen  Film waren Feste, wie z. B. Weihnachten, mindestens zweimal vertreten.  Mit 12 Jahren viel mir dann wieder durch Zufall ein kleines Buch über Fototechnik in die Hände. Die beschriebenen Prozesse des Entwickelns von Filmen und Papierabzügen, die ich eigentlich nicht wirklich verstand, dafür aber dieses Mysterium, dass Ereignisse eine zweite Chance bekommen, scheinbar aus dem Nichts heraus sich neu zu formen, haben eine Faszination hinterlassen, an der ich noch heute leide. 

Ich kaufte mir umgehend Entwickler und Fixierer in einer Drogerie. Das Zeug lag dann jahrelang herum mangels notwendiger Gerätschaften, wie Entwicklungsdosen etc. Daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Dann kamen die Mädchen, die ähnlich faszinierend waren. Die Zeit verging. 1977 begann ich in Münster visuelle Kommunikation zu studieren.  Ich dilettierte 2 Semester in verschiedenen Fachbereichen, um im 3. Semester in der Fotowerkstatt zu landen. Nach wenigen Tagen war klar: Ich war angekommen. Mein Mentor an der FH war ein ausgewiesener Streetfotograf, dem ich viel zu verdanken habe. Er hat uns immer ins Kino gejagt und in die Bücherei, um Monographien von Fotografen auszuleihen. In Münsters Fußgängerzonen Menschen frontal auf kurzer Distanz zu fotografieren, gehörte auch dazu. Alles zusammen war eine gute Grundierung, um eine eigene Bildsprache entwickeln zu können.

Angelehnt an der „Gumpschen Weisheit“, kann ich sagen: Immer wenn mir ein Kasten Pralinen gereicht wurde, enthielt dieser auch eine Kamera. Ich sehe das als großes Geschenk an und versuche seit 40 Jahren, diesem Versprechen gerecht zu werden. 

Ich betrachte mich als Autorenfotograf und versuche, Serien über Jahre fortzuschreiben. Da möchte ich gleich einen Joker ziehen. Im Film „Smoke“ ist Auggie, gespielt von Harvey Keitel, stolzer Besitzer von 4000 Fotografien aus New York. Allerdings haben seine Bilder alle ein und dasselbe Motiv; ein und dieselbe Perspektive. Und immer wird das Foto um punkt acht Uhr morgens geschossen. Auggie ist Besitzer eines Tabakwarenladens und fotografiert stets die Kreuzung vor seinem altmodischen Geschäft in Brooklyn. Bestimmt waren Fotografen wie Michael Ruetz oder Nicholas Nixon Vorbilder. Das Soziologisch-chronistische  ist eine  Kernkompetenz der Streetfotografie.  Bei mir sind es Ereignisse wie der  CSD, die Love-Parade, das  Ampbal Fest in Hamm, die Fibo u.v.m.  Es gab in den 80er Jahren mal ein Projekt, welchem ich den Namen „das Auge“ gab. Das ist ein Akronym für „das Absurde und Gewöhnliche“.  So sehe ich die Welt auch heute noch, nur das Narrative hat sich mittlerweile dazu gesellt. Einfach rausgehen und fotografieren fiel immer der Tatsache zum Opfer, dass alles einer Anreise bedurfte. Das Auge ist blind für das, was der Geist nicht sieht. Das könnte auch eine Antwort auf deine Frage sein. Nicht die Welt mit einem Augenpaar zu erkunden, lieber durch tausend Augen ein Land entdecken. Und dass einem nicht immer die Matrix in die Motive grätscht und ein Neu-Sehen verhindert.

www.matthiasgoedde.de

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